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Über die Arbeit von
Selbsthilfeguppen.
Ein Artikel von Regina
Gottsleben, SHG Neumünster
Jede Selbsthilfegruppe hat ihre eigene Dynamik, die immer abhängig
ist von den Mitgliedern der Gruppe. Meine Ausführungen beziehen
sich deshalb, abgesehen von dem mehr allgemeinen Teil, auf die
Tinnitus-Selbsthilfegruppe Neumünster, in der ich selbst als
Betroffene aktiv bin.
Für chronisch Kranke können Selbsthilfegruppen eine sehr
wichtige Hilfe sein. Zu erleben, daß man mit seinen Problemen
nicht alleine ist, daß es viele andere gibt, die wissen, wovon
man redet, das kann sehr hilfreich sein.
Da viele chronische Krankheiten nicht geheilt werden können,
ist von seiten der Ärzte meist nur wenig Unterstützung zu
erwarten. Ärzte haben oft auch nicht die Zeit, sich mit den Ängsten
und Sorgen ihrer Patienten auseinanderzusetzen. Sie wissen zwar,
je nach Erkrankung, mehr oder weniger genau, was im Körper
passiert, aber sie sind eben weitgehend machtlos.
Wie das z.B. beim Tinnitus der Falle ist. Hier gibt es im
wesentlich eine Menge Theorien darüber, wie es zu den Geräuschen
kommt, aber Beweise gibt es wenig, so wie es wenig Beweise für
die Wirksamkeit irgendwelcher Medikamente gibt. Der wohl häufigste
Kommentar von Ärzten ist : "Damit müssen Sie leben!"
Während die Ärzte an diesem Punkt aufhören, fangen wir hier
an. Jeder, der zu uns in die Gruppe kommt, hat oft zum ersten
mal die Möglichkeit, ausführlich über seine Ohrgeräusche zu
reden. Jeder von uns weiß, worum es geht, welche Ängste die
Geräusche auslösen können, und wie schwer es ist,
Nichtbetroffenen die Bedrohung, die davon ausgeht, verständlich
zu machen.
Wir haben Zeit für Erklärungen, wir sind, wie alle
Selbsthilfegruppen, zu Experten für die eigene Erkrankung
geworden.
Es gibt keine Methode, die jedem hilft, aber viele Menschen
haben vieles ausprobiert, mehr als einer alleine ausprobieren
kann, und deshalb können wir als Gruppe auch über viele
Behandlungsmethoden informieren.
Jeder muß seinen eigenen Weg finden, aber die Gruppe kann bei
der Suche nach dem eigenen Weg unterstützen.
Obwohl es gerade für die, die neu zu uns kommen, manchmal
wichtig ist, erst mal nur jammern zu können, ohne daß sich
gleich wieder jemand darüber aufregt, lassen wir doch nicht zu,
daß die Gruppe zu einem "Jammerverein" wird. Wir
wollen nicht jammern, sondern handeln, ganz im Sinne von
"Selbsthilfe". Wir wollen uns nicht behandeln lassen,
sondern selber aktiv werden. Für die "Anfänger" kann
es sehr hilfreich sein, zu sehen, daß die "alten
Hasen" trotz des Lärms, der sie ständig begleitet, ein
zufriedenes Leben führen. Hier wird lernen am Vorbild möglich.
"Andere haben es geschafft, warum soll ich es nicht auch
schaffen?!"
Und jeder bestimmt sein Tempo selbst, in dem er lernen will,
sich mit seinem Tinnitus zu arrangieren. Niemand muß irgendein
Ziel in vorgegebener Zeit erreichen.
Wir unterstützen bei der Suche nach Therapeuten und Kliniken
und sind jederzeit für jeden offen. Wir informieren uns über
die Angebote der Kliniken teilweise vor Ort, wir laden
Gastredner zu Vorträgen ein und besuchen Tinnitus-Symposien.
Wir versuchen ständig, auf dem laufenden zu sein, um immer über
den aktuellsten Stand der Wissenschaft informieren zu können.
Wir sind unabhängig, niemand schreibt uns vor, wie wir zu
arbeiten haben, und unsere Arbeit entwickelt sich aus uns
heraus, aus den Mitgliedern der Gruppe.
Wir haben keine Patentrezepte, aber wir weigern uns, dem
Tinnitus die Macht über uns zu lassen!
Regina Gottsleben
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